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„Kinder setzen sich mit Recht gegen den Klimawandel zur Wehr!“Kira Vinke vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung im Interview mit den SOS-Kinderdörfern, Teil 3

22.04.2021 – 04:30

SOS-Kinderdörfer weltweit

„Kinder setzen sich mit Recht gegen den Klimawandel zur Wehr!“
Kira Vinke vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung im Interview mit den SOS-Kinderdörfern, Teil 3


















"Kinder setzen sich mit Recht gegen den Klimawandel zur Wehr!" / Kira Vinke vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung im Interview mit den SOS-Kinderdörfern, Teil 3
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München / Potsdam (ots)

Kira Vinke, Wissenschaftlerin des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung, berät die SOS-Kinderdörfer in Klimafragen. In einem dreiteiligen Interview spricht die Wissenschaftlerin darüber, wie der Klimawandel zu Flucht und Armut weltweit beiträgt und was wir tun können, um ihn noch aufzuhalten.

SOS-Kinderdörfer: In den letzten Jahren hat die Klimakrise mehr Aufmerksamkeit bekommen. Glauben Sie, dass das eine Chance ist, dass das wirklich etwas verändert, wenn Kinder wie Greta Thunberg sich dagegen zur Wehr zu setzen?

Vinke: Auf jeden Fall. Und es ist ihr gutes Recht, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Ich denke auch, dass wir noch sehr viel stärker die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen in den Blick nehmen müssen. Insbesondere auch, da sie ihren Beitrag geleistet haben, die älteren Generationen vor der Corona-Pandemie zu schützen. Sie haben dafür große Einschränkungen in ihrem eigenen Leben in Kauf genommen. Kinder und Jugendliche setzen sich für den Schutz der Allgemeinheit ein, obwohl sie offenbar selbst nicht so stark gefährdet sind, an COVID-19 schwer zu erkranken. Sie verzichten auf sehr viel – auf Reisen, auf schulische Bildung, auf das Treffen von Freunden.

An Corona sehen wir, dass viel passieren kann, wenn der Wille da ist. Könnte das auch eine Chance sein?

Vinke: Chance würde ich es vielleicht nicht nennen im Hinblick darauf, dass viele Menschen in dieser Krise auch ihr Leben oder Angehörige verloren haben und diese Verluste nicht wiedergutzumachen sind. Aber es gibt Vieles, was wir daraus lernen können.

Die Corona-Pandemie hat gezeigt: Frühzeitiges Eingreifen kann den Verlauf einer Krise abmildern oder sie sogar verhindern. Es gab Länder, die relativ erfolgreich waren im Infektionsschutz. Wir waren das lange Zeit auch. Momentan ist die Situation wieder krisenhaft, und wir haben wahrscheinlich im Herbst 2020 zu spät eingegriffen, als die Infektionszahlen wieder stiegen. Aber es waren auch schwierige politische Entscheidungen. Im Nachhinein ist es leicht, zu sagen, man hätte schon im September oder Oktober 2020 weitreichendere Maßnahmen ergreifen sollen. Eine weitere, sehr wichtige Lektion ist, dass wissenschaftliche Beratung helfen kann, diese komplexen Themen zu verstehen. Der kritische Dialog zwischen Politik und Wissenschaft ist wichtig. Die Berichterstattung über wissenschaftliche Erkenntnisse hat im Zuge der Pandemie einen neuen Stellenwert erhalten. Vor allem durch die Krisenkommunikation und die Berichterstattung in den Medien haben wir alle viel über Corona-Viren und Infektionsschutz gelernt – das ist bemerkenswert.

Könnte man auch über die Klimakrise anders aufklären als bisher?

Vinke: Ich glaube, man muss noch umfassender aufklären. Die Klimakrise ist tückisch, denn Ursache und Wirkung sind zeitversetzt. Wir sehen die Effekte unseres Handelns nicht sofort. In der Coronakrise etwa werden Politiker:innen, wenn sie nicht einschreiten und es viele Tote gibt, noch in ihrer eigenen Legislaturperiode zur Verantwortung gezogen. Das ist im Klimaschutz nicht der Fall.

Ich will den Verantwortlichen nicht unterstellen, dass sie allein aus wahltaktischen Gründen in der Klimakrise zögerlich handeln. Es ist ein Problem der Wahrnehmung. Die Klimaveränderungen werden von der Allgemeinheit als weniger dringlich wahrgenommen, als es bei der Mehrheit der Klimawissenschaftler:innen der Fall ist. Das müssen wir aus der Wissenschaft wahrscheinlich noch besser kommunizieren: In welcher Notsituation wir uns eigentlich schon befinden. Wir sehen, dass die Ökosysteme kollabieren. Und es passiert viel, viel zu wenig.

Würden Sie sagen, wir dürfen der jungen Generation jetzt so viel Eigenverantwortung zutrauen, dass sie das Ruder allein herumreißt? Darf sich der Rest der Bevölkerung raushalten?

Vinke: Nein, denn die Schäden in der Atmosphäre sind entstanden durch mehrere Dekaden von Inaktivität im Bereich des Klimaschutzes. Es ist ein Generationenkonflikt. Die Generation, die jetzt in den Ruhestand geht, konnte ihr Leben weitestgehend ohne Klimafolgen leben. Sie hat ihren Wohlstand sozusagen mit einer CO2-Schuld erwirtschaftet, das ist auf Kosten der Zukunft gegangen. Und das muss man auch so benennen. Das ist aber keine Anschuldigung, weil man es auch zum Teil nicht besser wusste. Nun muss man die älteren Generationen dazu anregen, sich im Gegenzug für die Kinder und Jugendlichen einzusetzen. Indem die Älteren entsprechend wählen, ihre Macht einsetzen. Die Kinder können nur mahnen und Aufmerksamkeit erzeugen. Aber die anderen Generationen können sich nicht ihrer Verantwortung entziehen.

Wir diskutieren gerade zwei unterschiedliche gesellschaftliche Modelle, um komplexe Krisen zu bewältigen. Einerseits gibt es das sogenannte Championship Model, wo sich alle Akteure hinter dem Stärksten verbünden und hoffen, dass sie dann irgendwie davon profitieren. Andererseits gibt es das Fellowship Model, bei dem sich Akteure so konstellieren, um den Schwächsten zu schützen. Das hat man jetzt in der Corona-Pandemie gesehen. Da waren die Schwächsten die älteren Generationen, insbesondere alte Menschen im Pflegeheim, Menschen über 80, oder Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen. Und ein Großteil der Gesellschaft hat sich mit mehr oder weniger Erfolg dazu verpflichtet, diese Gruppen zu schützen. Das gleiche müssten wir jetzt auch im Fall des Klimawandels tun: Dass wir – und das entspricht eigentlich unserer Evolution – unsere Nachfahren schützen. Dass wir uns so verhalten, um die Schwächsten zu schützen – und das sind vor allem Kinder und Jugendliche.

Wir sollten also eher eine Art Hoffnungshandeln etablieren, anstatt zu resignieren in der Klimakrise?

Vinke: Genau. Mich wundert es ein bisschen, dass bei diesem Thema zum Teil ein Schulterzucken um sich greift – das haben wir bei der Corona-Pandemie auch nicht gemacht. Hätten Entscheidungsträger:innen gesagt: „Naja, ist halt so. Es kommt, wie es kommt“, dann wären alle zu Recht entsetzt gewesen. Man wusste anfangs nicht einmal, ob es einen Impfstoff geben wird, und trotzdem hat man gekämpft und versucht, die Infektionen durch das Virus einzudämmen. Genau dazu müssen wir eigentlich beim Klimawandel kommen, dass wir alles in die Waagschale werfen und aufbrechen, um unsere Zukunft zu gestalten. Dazu sind wir auch moralisch gegenüber den Menschen verpflichtet, die heute schon unter zunehmenden Klimafolgen leiden. Wir müssen unsere Verantwortung ihnen gegenüber wahrnehmen.

„Klimaschutz = Kinderschutz?“: Unter diesem Titel laden die SOS-Kinderdörfer am 22. April 2021, dem Earth-Day, um 19.00 Uhr zum „SOS-Live“ ein: Eine Online-Diskussion mit Kira Vinke und anderen Gästen

Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an:

Boris Breyer
Stellvertretender Pressesprecher
SOS-Kinderdörfer weltweit
Tel.: 089/179 14-287
E-Mail: boris.breyer@sos-kd.org
www.sos-kinderdoerfer.de

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„Armutsbekämpfung ohne Klimaschutz funktioniert nicht!“Kira Vinke vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung im Interview mit den SOS-Kinderdörfern, Teil 2

21.04.2021 – 04:30

SOS-Kinderdörfer weltweit

„Armutsbekämpfung ohne Klimaschutz funktioniert nicht!“
Kira Vinke vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung im Interview mit den SOS-Kinderdörfern, Teil 2


















"Armutsbekämpfung ohne Klimaschutz funktioniert nicht!" / Kira Vinke vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung im Interview mit den SOS-Kinderdörfern, Teil 2
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München / Potsdam (ots)

Kira Vinke, Projektleiterin des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung, berät die SOS-Kinderdörfer in Klimafragen. In diesem dreiteiligen Interview spricht die Wissenschaftlerin darüber, wie der Klimawandel zu Flucht und Armut weltweit beiträgt und was wir tun können, um ihn noch aufzuhalten.

SOS-Kinderdörfer: Was genau hat der Klimawandel derzeit und in Zukunft mit Armut zu tun?

Vinke: Der Klimawandel entzieht ganzen Bevölkerungsgruppen die Lebensgrundlage und vergrößert Armut um ein Vielfaches. Deswegen kann Armutsbekämpfung ohne Klimaschutz nicht funktionieren. Ich höre immer wieder, dass Klimaschutz und Entwicklungsarbeit sich widersprechen. Dabei ist es offensichtlich, dass ohne Klimaschutz alle Entwicklungsfortschritte ins Nichts laufen werden.

Wir haben schon viele Warnsignale ignoriert, inzwischen ist kaum zu übersehen, wie stark Klimafolgen die menschliche Entwicklung beeinträchtigen können. 2019 forschte ich auf der Karibikinsel Barbuda, die vollständig evakuiert wurde, nachdem ein extremer Sturm dort alles zerstört hatte. Zwei Jahre nach diesem Sturm sah es so aus, als ob erst gestern die Katastrophe geschehen wäre. Ein großer Teil der Häuser war nicht wiederaufgebaut. Die Bevölkerung hatte weiterhin kein fließendes Wasser, Stromausfälle waren an der Tagesordnung. Auch wenn diese Extremereignisse, die aufgrund des Klimawandels zunehmen, aus den Nachrichten verschwunden sind, haben sie beunruhigende langfristige Wirkungen. Länder und einzelne Regionen können in ihrer Entwicklung drastisch zurückgeworfen werden.

Was hat der Klimawandel mit Familien und Kindern zu tun?

Vinke: Kinder könnten im Laufe ihres Lebens enorm von Klimafolgen betroffen sein. Millionen Kinder werden in Not geraten, wenn wir den Klimawandel nicht aufhalten. Man sieht auch an der Corona-Pandemie, dass die äußeren Bedingungen ganz stark auf das Familienleben einwirken. Wenn wir einen großen Schock erleben, potenziert das Konflikte innerhalb der Familie. Es gibt Stress, den es sonst nicht gegeben hätte.

Insofern muss man auch den Klimawandel als eine Bedrohung ansehen, die das Familienleben verschlechtern kann. Wenn eine Familie unter einem extremen Sturm oder unter Dürre leidet, dann betreffen die Auswirkungen auch das Gefüge in der Familie selbst: die Paarbeziehung der Eltern, die Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Wir sind in unserer Kernfamilie nicht völlig isoliert vom naturräumlichen Geschehen. Man muss sich in Erinnerung rufen, dass wir alle, auch wenn wir vielleicht selbst keine Landwirtschaft betreiben, trotzdem auf eine funktionierende Umwelt angewiesen sind. Globale Brüche können auch unsere Kernfamilie treffen.

Die globale Klimakrise kann uns also in der Kernfamilie treffen. Wenn wir fliehen müssen, zum Beispiel…

Vinke: Für Migration und Flucht gibt es natürlich viele Ursachen, gewaltsame Konflikte, Armut, politische Unterdrückung. Existenzbedrohende Klimafolgen können auch zum Treiber von Migration werden. So zum Beispiel im Süden Bangladeschs, wo viele Menschen aufgrund von tropischen Zyklonen aus den ländlichen Gebieten in die Städte ziehen müssen. Oder im Pazifik, wo der steigende Meeresspiegel ganze Inselstaaten bedroht.

Wenn viel mehr Menschen Zuflucht in anderen Ländern suchen – fällt das letztendlich auch auf uns in Deutschland zurück?

Vinke: Es ist generell im Interesse der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, dass globale Emissionsminderung betrieben wird, weil letztlich auch unsere Sicherheit davon abhängt. Zum einen können wir auch in Deutschland von Extremwettereignissen betroffen sein, zum anderen haben Konflikte in anderen Ländern grenzüberschreitende Auswirkungen. Nehmen wir das Beispiel Syrien. Da gab es eine extreme Dürre, die den Protesten vorangegangen ist. Diese Dürre hat zu Binnenmigration, also Vertreibung, geführt. Verlorene Lebensgrundlagen kumulierten mit der Frustration durch politische Repression. Das endete in Protesten, die dann wiederum blutig niedergeschlagen wurden. Die Entwicklung eines Bürgerkrieges hat natürlich auch Konsequenzen für die Bundesrepublik. Ein Beispiel aus jüngster Zeit ist die Flüchtlingskrise 2015.

Vielleicht ist die Frage ein wenig utopisch, aber wie können wir die Welt besser und gerechter machen?

Vinke: Da gibt es viele Punkte, die ich nennen könnte. Die Umsetzung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs – Sustainable Development Goals) zum Beispiel. Das wäre schon mal ein großer Schritt. Und wir müssen versuchen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu bewahren. Ich denke, gerade in Zeiten von Hasskommentaren und Hetze im Internet ist es wichtig, dass man versucht, gemeinsam an Problemen zu arbeiten, anstatt immer weitere Gräben aufzureißen.

„Klimaschutz = Kinderschutz?“: Unter diesem Titel laden die SOS-Kinderdörfer am 22.April 2021, dem Earth-Day, um 19.00 Uhr zum „SOS-Live“ ein: Eine Online-Diskussion mit Kira Vinke und anderen Gästen.

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Boris Breyer
Stellvertretender Pressesprecher
SOS-Kinderdörfer weltweit
Tel.: 089/179 14-287
E-Mail: boris.breyer@sos-kd.org
www.sos-kinderdoerfer.de

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Klimakrise zwingt Millionen Menschen in die Flucht!Kira Vinke vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung im Interview mit den SOS-Kinderdörfern, Teil 1

20.04.2021 – 04:30

SOS-Kinderdörfer weltweit

Klimakrise zwingt Millionen Menschen in die Flucht!
Kira Vinke vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung im Interview mit den SOS-Kinderdörfern, Teil 1


















Klimakrise zwingt Millionen Menschen in die Flucht! / Kira Vinke vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung im Interview mit den SOS-Kinderdörfern, Teil 1
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München (ots)

Dr. Kira Vinke, Projektleiterin des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung, berät die SOS-Kinderdörfer in Klimafragen. In einem dreiteiligen Interview spricht die Wissenschaftlerin darüber, wie der Klimawandel zu Flucht und Armut weltweit beiträgt und was wir tun können, um ihn noch aufzuhalten.

SOS-Kinderdörfer: Laut einer Studie, die auch der Weltklimarat zitiert, könnte es 2050 weltweit 200 Millionen Klimaflüchtlinge geben. Warum werden so viele Menschen fliehen?

Vinke: Die Studie ist schon etwas älter und teils wegen einer unausgereiften Methodik umstritten. Es gibt eine kürzlich erschienene Weltbank-Studie, die in einem pessimistischen Szenario bis 2050 von etwa 140 Millionen Binnenvertriebenen in Subsahara-Afrika, Südasien und Südamerika ausgeht. Wenn man bedenkt, dass noch einige Weltregionen fehlen, sind die 200 Millionen von der Größenordnung her möglicherweise gar nicht so weit von der Realität entfernt.

Es gibt keine grundsätzliche Definition eines Klimamigranten. Aber wir sehen, dass der Migrationsdruck zunimmt – und dahinter steht oft auch ein sehr großer persönlicher Leidensdruck. Das ist unabhängig von allgemeinen Anziehungsfaktoren für Migration wie die Aussicht auf ein besseres Leben oder die Aussicht auf Sicherheit.

Ob diese Migration vollzogen werden kann und über welche Distanzen, hängt von vielen Umständen ab. Etwa davon, wie viel Geld mir als Migrant zur Verfügung steht. Oder: Bin ich körperlich in der Lage zu migrieren? Was sind meine sozialen Umstände? Bin ich frei? Zum Beispiel ist es für Frauen schwieriger, allein zu migrieren, weil sie oft sexueller Gewalt ausgesetzt sind, während es jungen Männern in vielen Gesellschaften eher möglich ist. Und natürlich geht es auch um Grenzpolitik, wenn nationale Grenzen überwunden werden müssen. Wenn der Migrationsdruck wächst, steigt das Leid an den Außengrenzen.

Da ist nun die Frage, wie wir darauf reagieren. Versuchen wir, diesen Migrationsdruck zu mindern? Nicht jeder möchte sein eigenes Zuhause verlassen; das ist nur eine Minderheit. Aber wenn ich vor die Wahl gestellt bin, mein Kind an Hunger sterben zu sehen oder mein Zuhause zu verlassen – dann entschließt sich wahrscheinlich die Mehrheit für Letzteres.

Wenn Sie sagen, es gibt einen internen Migrationsdruck, reden Sie dann von Binnenflucht, also dass diese Menschen tatsächlich im eigenen Land woanders Zuflucht suchen?

Vinke: Genau. Momentan beobachten wir, dass die Menschen, die aufgrund von Klimafolgen migrieren müssen, dies vor allem innerhalb ihrer Länder tun. Und das passiert aus den folgenden Gründen: Erstens können sie gar nicht so weit migrieren, weil ihnen die Voraussetzungen dafür fehlen. Zweitens möchten sie in ihrem Kulturkreis bleiben und ihre eigene Sprache sprechen. Eventuell wollen sie später in ihre Heimat zurückkehren. Der dritte Grund ist: Es gibt Grenzregime, die man nicht so einfach überwinden kann. Aber die anderen Punkte sind aus meiner Sicht schwerwiegender. Man sollte in Betracht ziehen, wer von diesen Naturkatastrophen hauptsächlich betroffen ist. Das sind vor allem Subsistenzbauern ohne finanzielle Reserven, die keinerlei Anpassungsmöglichkeiten haben. Dann die Fischer – also alle Menschen, deren Lebensgrundlagen direkt mit Ökosystemen verbunden sind. Sie stehen sozusagen in der ersten Reihe, aber ihre Mobilität ist oft eingeschränkt.

Es sind also vor allem Menschen, die wahrscheinlich schon am Existenzminimum leben oder die einfach jetzt schon Schwierigkeiten haben – teilweise klimabedingt, teilweise ökonomisch bedingt – ein gutes Leben zu führen?

Vinke: Ja, das sind marginalisierte Gruppen. Und da zeigt sich auch eine doppelte Ungerechtigkeit. So viele Menschen wurden von der globalisierten Industrialisierung und von deren Wohlstanderzeugung ausgeschlossen. Sie sind vielleicht Teil der Produktionskette, beispielsweise eine Näherin in Bangladesch, aber sie erzielen daraus keinen Gewinn. Die zweite Ungerechtigkeit ist nun, dass genau diese benachteiligten Menschen Opfer des Klimawandels werden, den sie nicht oder nur zu einem sehr geringen Teil mit verursachen.

Sie haben mit vielen dieser Menschen gesprochen, die die Folgen des Klimawandels schon am eigenen Leib spüren…

Vinke: Für meine Feldforschungen war ich in verschiedenen Teilen der Erde: in Bangladesch in Asien, auf den Marshallinseln im Pazifik, in Burkina Faso in Afrika. Dort sieht man überall ein ähnliches Bild. Natürlich gibt es ganz unterschiedliche Klimafolgen und ganz unterschiedliche gesellschaftliche Kontexte. Aber die Menschen schildern alle, dass sich die Umwelt rasant verändert hat. Sie haben dafür oft keine Erklärung, weil ihnen der Zugang zu Bildung verwehrt bleibt. Sie stehen vor der Wahl, unter immer schlechter werdenden Bedingungen zu bleiben oder zu gehen. Sie haben kaum die Möglichkeit, selber aktiv etwas zu verbessern, weil die globalen Strukturen ihren persönlichen Handlungsspielraum begrenzen. Es ist eine sehr ernüchternde Einsicht, dass unsere eigene, oft komfortable Lebensart die freie Entfaltung anderer Menschen in weitentfernten Gebieten – zum Teil zeitlich versetzt – verschlechtert oder ganz untergräbt. Das ist ein großes ethisches Problem.

Wie können Klima- und Entwicklungsprogramme aufgebaut sein, sodass sie nachhaltig wirken und nicht nur den Industrieländern vorbehalten sind?

Vinke: Ich denke, es sollte stark in die kommunale Ebene investiert werden. Die Projekte sollten an den lokalen Kontext angepasst und von lokalen Experten begleitet und ausgeführt werden. Bei unseren Feldforschungen haben wir gesehen, dass die Menschen, die besonders betroffen sind, oft kaum oder keine Unterstützung von ihrem eigenen Staat bekommen. Das muss man auch im Blick haben, wenn man über die internationalen Klimaschutzverhandlungen nachdenkt, es sind letztlich Verhandlungen zwischen politischen Eliten. So stellt sich die Frage: Haben die politischen Eliten immer das Gesamtinteresse der Bevölkerung im Auge oder vor allem das ihrer eigenen Wählerschaft? Das ist auch in Deutschland ein Problem, aber zumindest ist unsere Regierung demokratisch gewählt. Doch wir verhandeln auch mit autoritär regierten Ländern, und deren Stimmen zählen in der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen genauso wie unsere. Ob diese Regierungen im Interesse ihrer Bevölkerung – auch ihrer verarmten Landbevölkerung – sprechen und handeln, kann man zumindest in Frage stellen. Auch deswegen ist es wichtig, Wege zu finden, um Menschen zu erreichen, die in großer Not sind und von ihrer eigenen Regierung ignoriert werden. Allerdings muss diese Vernachlässigung nicht immer mutwillig sein; viele Regierungen haben gar nicht die finanziellen Kapazitäten.

Welche Projekte können sowohl die Not und die Armut der Menschen lindern, aber auch Flucht verhindern?

Vinke: Ein Beispiel ist sicher die Wiederaufforstungstechnik „Farmer Managed Natural Regeneration“ (FMNR). Diese Form der Wiederbewaldung wird unter anderem in der Sahelzone praktiziert. Sie beruht allerdings nicht auf dem Pflanzen von Bäumen, sondern auf dem „In-Ruhe-lassen“ von Land. Bestimmte Landflächen werden abgegrenzt, dort bilden sich dann auf natürliche Art wieder kleine Büsche aus den in der Erde liegenden Wurzeln. Diese werden normalerweise von Ziegen abgefressen oder zum Feuermachen geerntet. Das kann man vermeiden, indem man sich als Gemeinschaft entschließt, eine Landfläche zu schützen, und versucht, die Büsche so zu trimmen, dass sich Äste und letztendlich junge Bäume entwickeln. Ein Baum bringt viele Vorteile: Er spendet Schatten für das Wachstum anderer Pflanzen, und gleichzeitig kann die Wiederbewaldung den Wasserkreislauf unterstützen. Das puffert lokal die Erwärmung etwas ab, und zum anderen bilden sich natürliche CO2-Senken, weil Bäume CO2 aus der Atmosphäre ziehen. Die Schwierigkeit bei solchen Projekten ist der Abstimmungsprozess innerhalb der Gemeinschaft, denn es dauert relativ lange, bis ein Baum wächst. Aber sobald diese Bäume entstehen, kann man auch Teile von ihnen ernten. Es ist wünschenswert, diese Phase auch durch andere entwicklungspolitische Maßnahmen zu unterstützen, damit zum Beispiel kein Feuerholz zum Kochen verbraucht werden muss.

Radikal wäre es aus Umweltsicht, einfach alles die Natur machen zu lassen. Dann leiden aber noch mehr Menschen. Wie geht man damit um?

Vinke: Hier geht es um Ausgleiche. Wie kann ich einen Interessensausgleich schaffen? Das sollte gemeinschaftlich mit lokalen Akteuren durchgeführt werden, gerade bei großen Naturschutzprojekten. Denn es gibt ja auch viele problematische Beispiele. Als ich in Bangladesch war, haben Menschen zu mir gesagt: „Hier ist ein riesiges Tierschutzprojekt. Warum schützt ihr Tiger und helft uns nicht?“ Das kann nur dadurch beantwortet werden, dass beides gemacht wird, Umweltschutz und entwicklungspolitische Maßnahmen. Ein Kerninteresse des Umweltschutzes ist es, dem Menschen zu helfen und die natürlichen Lebensgrundlagen auch für zukünftige Generationen zu erhalten. Klar ist, der Mensch ist ein Teil der Natur und wir können nicht andere Arten einfach nach unserem Gusto auslöschen ohne weitreichende Konsequenzen hervorzurufen, die uns schließlich selbst betreffen werden.

Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an:

Boris Breyer
Stellvertretender Pressesprecher
SOS-Kinderdörfer weltweit
Tel.: 089/179 14-287
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Klimakrise zwingt Millionen Menschen in die Flucht!Kira Vinke vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung im Interview mit den SOS-Kinderdörfern, Teil 1

20.04.2021 – 04:30

SOS-Kinderdörfer weltweit

Klimakrise zwingt Millionen Menschen in die Flucht!
Kira Vinke vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung im Interview mit den SOS-Kinderdörfern, Teil 1


















Klimakrise zwingt Millionen Menschen in die Flucht! / Kira Vinke vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung im Interview mit den SOS-Kinderdörfern, Teil 1
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Dr. Kira Vinke, Projektleiterin des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung, berät die SOS-Kinderdörfer in Klimafragen. In einem dreiteiligen Interview spricht die Wissenschaftlerin darüber, wie der Klimawandel zu Flucht und Armut weltweit beiträgt und was wir tun können, um ihn noch aufzuhalten.

SOS-Kinderdörfer: Laut einer Studie, die auch der Weltklimarat zitiert, könnte es 2050 weltweit 200 Millionen Klimaflüchtlinge geben. Warum werden so viele Menschen fliehen?

Vinke: Die Studie ist schon etwas älter und teils wegen einer unausgereiften Methodik umstritten. Es gibt eine kürzlich erschienene Weltbank-Studie, die in einem pessimistischen Szenario bis 2050 von etwa 140 Millionen Binnenvertriebenen in Subsahara-Afrika, Südasien und Südamerika ausgeht. Wenn man bedenkt, dass noch einige Weltregionen fehlen, sind die 200 Millionen von der Größenordnung her möglicherweise gar nicht so weit von der Realität entfernt.

Es gibt keine grundsätzliche Definition eines Klimamigranten. Aber wir sehen, dass der Migrationsdruck zunimmt – und dahinter steht oft auch ein sehr großer persönlicher Leidensdruck. Das ist unabhängig von allgemeinen Anziehungsfaktoren für Migration wie die Aussicht auf ein besseres Leben oder die Aussicht auf Sicherheit.

Ob diese Migration vollzogen werden kann und über welche Distanzen, hängt von vielen Umständen ab. Etwa davon, wie viel Geld mir als Migrant zur Verfügung steht. Oder: Bin ich körperlich in der Lage zu migrieren? Was sind meine sozialen Umstände? Bin ich frei? Zum Beispiel ist es für Frauen schwieriger, allein zu migrieren, weil sie oft sexueller Gewalt ausgesetzt sind, während es jungen Männern in vielen Gesellschaften eher möglich ist. Und natürlich geht es auch um Grenzpolitik, wenn nationale Grenzen überwunden werden müssen. Wenn der Migrationsdruck wächst, steigt das Leid an den Außengrenzen.

Da ist nun die Frage, wie wir darauf reagieren. Versuchen wir, diesen Migrationsdruck zu mindern? Nicht jeder möchte sein eigenes Zuhause verlassen; das ist nur eine Minderheit. Aber wenn ich vor die Wahl gestellt bin, mein Kind an Hunger sterben zu sehen oder mein Zuhause zu verlassen – dann entschließt sich wahrscheinlich die Mehrheit für Letzteres.

Wenn Sie sagen, es gibt einen internen Migrationsdruck, reden Sie dann von Binnenflucht, also dass diese Menschen tatsächlich im eigenen Land woanders Zuflucht suchen?

Vinke: Genau. Momentan beobachten wir, dass die Menschen, die aufgrund von Klimafolgen migrieren müssen, dies vor allem innerhalb ihrer Länder tun. Und das passiert aus den folgenden Gründen: Erstens können sie gar nicht so weit migrieren, weil ihnen die Voraussetzungen dafür fehlen. Zweitens möchten sie in ihrem Kulturkreis bleiben und ihre eigene Sprache sprechen. Eventuell wollen sie später in ihre Heimat zurückkehren. Der dritte Grund ist: Es gibt Grenzregime, die man nicht so einfach überwinden kann. Aber die anderen Punkte sind aus meiner Sicht schwerwiegender. Man sollte in Betracht ziehen, wer von diesen Naturkatastrophen hauptsächlich betroffen ist. Das sind vor allem Subsistenzbauern ohne finanzielle Reserven, die keinerlei Anpassungsmöglichkeiten haben. Dann die Fischer – also alle Menschen, deren Lebensgrundlagen direkt mit Ökosystemen verbunden sind. Sie stehen sozusagen in der ersten Reihe, aber ihre Mobilität ist oft eingeschränkt.

Es sind also vor allem Menschen, die wahrscheinlich schon am Existenzminimum leben oder die einfach jetzt schon Schwierigkeiten haben – teilweise klimabedingt, teilweise ökonomisch bedingt – ein gutes Leben zu führen?

Vinke: Ja, das sind marginalisierte Gruppen. Und da zeigt sich auch eine doppelte Ungerechtigkeit. So viele Menschen wurden von der globalisierten Industrialisierung und von deren Wohlstanderzeugung ausgeschlossen. Sie sind vielleicht Teil der Produktionskette, beispielsweise eine Näherin in Bangladesch, aber sie erzielen daraus keinen Gewinn. Die zweite Ungerechtigkeit ist nun, dass genau diese benachteiligten Menschen Opfer des Klimawandels werden, den sie nicht oder nur zu einem sehr geringen Teil mit verursachen.

Sie haben mit vielen dieser Menschen gesprochen, die die Folgen des Klimawandels schon am eigenen Leib spüren…

Vinke: Für meine Feldforschungen war ich in verschiedenen Teilen der Erde: in Bangladesch in Asien, auf den Marshallinseln im Pazifik, in Burkina Faso in Afrika. Dort sieht man überall ein ähnliches Bild. Natürlich gibt es ganz unterschiedliche Klimafolgen und ganz unterschiedliche gesellschaftliche Kontexte. Aber die Menschen schildern alle, dass sich die Umwelt rasant verändert hat. Sie haben dafür oft keine Erklärung, weil ihnen der Zugang zu Bildung verwehrt bleibt. Sie stehen vor der Wahl, unter immer schlechter werdenden Bedingungen zu bleiben oder zu gehen. Sie haben kaum die Möglichkeit, selber aktiv etwas zu verbessern, weil die globalen Strukturen ihren persönlichen Handlungsspielraum begrenzen. Es ist eine sehr ernüchternde Einsicht, dass unsere eigene, oft komfortable Lebensart die freie Entfaltung anderer Menschen in weitentfernten Gebieten – zum Teil zeitlich versetzt – verschlechtert oder ganz untergräbt. Das ist ein großes ethisches Problem.

Wie können Klima- und Entwicklungsprogramme aufgebaut sein, sodass sie nachhaltig wirken und nicht nur den Industrieländern vorbehalten sind?

Vinke: Ich denke, es sollte stark in die kommunale Ebene investiert werden. Die Projekte sollten an den lokalen Kontext angepasst und von lokalen Experten begleitet und ausgeführt werden. Bei unseren Feldforschungen haben wir gesehen, dass die Menschen, die besonders betroffen sind, oft kaum oder keine Unterstützung von ihrem eigenen Staat bekommen. Das muss man auch im Blick haben, wenn man über die internationalen Klimaschutzverhandlungen nachdenkt, es sind letztlich Verhandlungen zwischen politischen Eliten. So stellt sich die Frage: Haben die politischen Eliten immer das Gesamtinteresse der Bevölkerung im Auge oder vor allem das ihrer eigenen Wählerschaft? Das ist auch in Deutschland ein Problem, aber zumindest ist unsere Regierung demokratisch gewählt. Doch wir verhandeln auch mit autoritär regierten Ländern, und deren Stimmen zählen in der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen genauso wie unsere. Ob diese Regierungen im Interesse ihrer Bevölkerung – auch ihrer verarmten Landbevölkerung – sprechen und handeln, kann man zumindest in Frage stellen. Auch deswegen ist es wichtig, Wege zu finden, um Menschen zu erreichen, die in großer Not sind und von ihrer eigenen Regierung ignoriert werden. Allerdings muss diese Vernachlässigung nicht immer mutwillig sein; viele Regierungen haben gar nicht die finanziellen Kapazitäten.

Welche Projekte können sowohl die Not und die Armut der Menschen lindern, aber auch Flucht verhindern?

Vinke: Ein Beispiel ist sicher die Wiederaufforstungstechnik „Farmer Managed Natural Regeneration“ (FMNR). Diese Form der Wiederbewaldung wird unter anderem in der Sahelzone praktiziert. Sie beruht allerdings nicht auf dem Pflanzen von Bäumen, sondern auf dem „In-Ruhe-lassen“ von Land. Bestimmte Landflächen werden abgegrenzt, dort bilden sich dann auf natürliche Art wieder kleine Büsche aus den in der Erde liegenden Wurzeln. Diese werden normalerweise von Ziegen abgefressen oder zum Feuermachen geerntet. Das kann man vermeiden, indem man sich als Gemeinschaft entschließt, eine Landfläche zu schützen, und versucht, die Büsche so zu trimmen, dass sich Äste und letztendlich junge Bäume entwickeln. Ein Baum bringt viele Vorteile: Er spendet Schatten für das Wachstum anderer Pflanzen, und gleichzeitig kann die Wiederbewaldung den Wasserkreislauf unterstützen. Das puffert lokal die Erwärmung etwas ab, und zum anderen bilden sich natürliche CO2-Senken, weil Bäume CO2 aus der Atmosphäre ziehen. Die Schwierigkeit bei solchen Projekten ist der Abstimmungsprozess innerhalb der Gemeinschaft, denn es dauert relativ lange, bis ein Baum wächst. Aber sobald diese Bäume entstehen, kann man auch Teile von ihnen ernten. Es ist wünschenswert, diese Phase auch durch andere entwicklungspolitische Maßnahmen zu unterstützen, damit zum Beispiel kein Feuerholz zum Kochen verbraucht werden muss.

Radikal wäre es aus Umweltsicht, einfach alles die Natur machen zu lassen. Dann leiden aber noch mehr Menschen. Wie geht man damit um?

Vinke: Hier geht es um Ausgleiche. Wie kann ich einen Interessensausgleich schaffen? Das sollte gemeinschaftlich mit lokalen Akteuren durchgeführt werden, gerade bei großen Naturschutzprojekten. Denn es gibt ja auch viele problematische Beispiele. Als ich in Bangladesch war, haben Menschen zu mir gesagt: „Hier ist ein riesiges Tierschutzprojekt. Warum schützt ihr Tiger und helft uns nicht?“ Das kann nur dadurch beantwortet werden, dass beides gemacht wird, Umweltschutz und entwicklungspolitische Maßnahmen. Ein Kerninteresse des Umweltschutzes ist es, dem Menschen zu helfen und die natürlichen Lebensgrundlagen auch für zukünftige Generationen zu erhalten. Klar ist, der Mensch ist ein Teil der Natur und wir können nicht andere Arten einfach nach unserem Gusto auslöschen ohne weitreichende Konsequenzen hervorzurufen, die uns schließlich selbst betreffen werden.

Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an:

Boris Breyer
Stellvertretender Pressesprecher
SOS-Kinderdörfer weltweit
Tel.: 089/179 14-287
E-Mail: boris.breyer@sos-kd.org
www.sos-kinderdoerfer.de

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Klimakrise zwingt Millionen Menschen in die Flucht!Kira Vinke vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung im Interview mit den SOS-Kinderdörfern, Teil 1

20.04.2021 – 04:30

SOS-Kinderdörfer weltweit

Klimakrise zwingt Millionen Menschen in die Flucht!
Kira Vinke vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung im Interview mit den SOS-Kinderdörfern, Teil 1


















Klimakrise zwingt Millionen Menschen in die Flucht! / Kira Vinke vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung im Interview mit den SOS-Kinderdörfern, Teil 1
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Dr. Kira Vinke, Projektleiterin des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung, berät die SOS-Kinderdörfer in Klimafragen. In einem dreiteiligen Interview spricht die Wissenschaftlerin darüber, wie der Klimawandel zu Flucht und Armut weltweit beiträgt und was wir tun können, um ihn noch aufzuhalten.

SOS-Kinderdörfer: Laut einer Studie, die auch der Weltklimarat zitiert, könnte es 2050 weltweit 200 Millionen Klimaflüchtlinge geben. Warum werden so viele Menschen fliehen?

Vinke: Die Studie ist schon etwas älter und teils wegen einer unausgereiften Methodik umstritten. Es gibt eine kürzlich erschienene Weltbank-Studie, die in einem pessimistischen Szenario bis 2050 von etwa 140 Millionen Binnenvertriebenen in Subsahara-Afrika, Südasien und Südamerika ausgeht. Wenn man bedenkt, dass noch einige Weltregionen fehlen, sind die 200 Millionen von der Größenordnung her möglicherweise gar nicht so weit von der Realität entfernt.

Es gibt keine grundsätzliche Definition eines Klimamigranten. Aber wir sehen, dass der Migrationsdruck zunimmt – und dahinter steht oft auch ein sehr großer persönlicher Leidensdruck. Das ist unabhängig von allgemeinen Anziehungsfaktoren für Migration wie die Aussicht auf ein besseres Leben oder die Aussicht auf Sicherheit.

Ob diese Migration vollzogen werden kann und über welche Distanzen, hängt von vielen Umständen ab. Etwa davon, wie viel Geld mir als Migrant zur Verfügung steht. Oder: Bin ich körperlich in der Lage zu migrieren? Was sind meine sozialen Umstände? Bin ich frei? Zum Beispiel ist es für Frauen schwieriger, allein zu migrieren, weil sie oft sexueller Gewalt ausgesetzt sind, während es jungen Männern in vielen Gesellschaften eher möglich ist. Und natürlich geht es auch um Grenzpolitik, wenn nationale Grenzen überwunden werden müssen. Wenn der Migrationsdruck wächst, steigt das Leid an den Außengrenzen.

Da ist nun die Frage, wie wir darauf reagieren. Versuchen wir, diesen Migrationsdruck zu mindern? Nicht jeder möchte sein eigenes Zuhause verlassen; das ist nur eine Minderheit. Aber wenn ich vor die Wahl gestellt bin, mein Kind an Hunger sterben zu sehen oder mein Zuhause zu verlassen – dann entschließt sich wahrscheinlich die Mehrheit für Letzteres.

Wenn Sie sagen, es gibt einen internen Migrationsdruck, reden Sie dann von Binnenflucht, also dass diese Menschen tatsächlich im eigenen Land woanders Zuflucht suchen?

Vinke: Genau. Momentan beobachten wir, dass die Menschen, die aufgrund von Klimafolgen migrieren müssen, dies vor allem innerhalb ihrer Länder tun. Und das passiert aus den folgenden Gründen: Erstens können sie gar nicht so weit migrieren, weil ihnen die Voraussetzungen dafür fehlen. Zweitens möchten sie in ihrem Kulturkreis bleiben und ihre eigene Sprache sprechen. Eventuell wollen sie später in ihre Heimat zurückkehren. Der dritte Grund ist: Es gibt Grenzregime, die man nicht so einfach überwinden kann. Aber die anderen Punkte sind aus meiner Sicht schwerwiegender. Man sollte in Betracht ziehen, wer von diesen Naturkatastrophen hauptsächlich betroffen ist. Das sind vor allem Subsistenzbauern ohne finanzielle Reserven, die keinerlei Anpassungsmöglichkeiten haben. Dann die Fischer – also alle Menschen, deren Lebensgrundlagen direkt mit Ökosystemen verbunden sind. Sie stehen sozusagen in der ersten Reihe, aber ihre Mobilität ist oft eingeschränkt.

Es sind also vor allem Menschen, die wahrscheinlich schon am Existenzminimum leben oder die einfach jetzt schon Schwierigkeiten haben – teilweise klimabedingt, teilweise ökonomisch bedingt – ein gutes Leben zu führen?

Vinke: Ja, das sind marginalisierte Gruppen. Und da zeigt sich auch eine doppelte Ungerechtigkeit. So viele Menschen wurden von der globalisierten Industrialisierung und von deren Wohlstanderzeugung ausgeschlossen. Sie sind vielleicht Teil der Produktionskette, beispielsweise eine Näherin in Bangladesch, aber sie erzielen daraus keinen Gewinn. Die zweite Ungerechtigkeit ist nun, dass genau diese benachteiligten Menschen Opfer des Klimawandels werden, den sie nicht oder nur zu einem sehr geringen Teil mit verursachen.

Sie haben mit vielen dieser Menschen gesprochen, die die Folgen des Klimawandels schon am eigenen Leib spüren…

Vinke: Für meine Feldforschungen war ich in verschiedenen Teilen der Erde: in Bangladesch in Asien, auf den Marshallinseln im Pazifik, in Burkina Faso in Afrika. Dort sieht man überall ein ähnliches Bild. Natürlich gibt es ganz unterschiedliche Klimafolgen und ganz unterschiedliche gesellschaftliche Kontexte. Aber die Menschen schildern alle, dass sich die Umwelt rasant verändert hat. Sie haben dafür oft keine Erklärung, weil ihnen der Zugang zu Bildung verwehrt bleibt. Sie stehen vor der Wahl, unter immer schlechter werdenden Bedingungen zu bleiben oder zu gehen. Sie haben kaum die Möglichkeit, selber aktiv etwas zu verbessern, weil die globalen Strukturen ihren persönlichen Handlungsspielraum begrenzen. Es ist eine sehr ernüchternde Einsicht, dass unsere eigene, oft komfortable Lebensart die freie Entfaltung anderer Menschen in weitentfernten Gebieten – zum Teil zeitlich versetzt – verschlechtert oder ganz untergräbt. Das ist ein großes ethisches Problem.

Wie können Klima- und Entwicklungsprogramme aufgebaut sein, sodass sie nachhaltig wirken und nicht nur den Industrieländern vorbehalten sind?

Vinke: Ich denke, es sollte stark in die kommunale Ebene investiert werden. Die Projekte sollten an den lokalen Kontext angepasst und von lokalen Experten begleitet und ausgeführt werden. Bei unseren Feldforschungen haben wir gesehen, dass die Menschen, die besonders betroffen sind, oft kaum oder keine Unterstützung von ihrem eigenen Staat bekommen. Das muss man auch im Blick haben, wenn man über die internationalen Klimaschutzverhandlungen nachdenkt, es sind letztlich Verhandlungen zwischen politischen Eliten. So stellt sich die Frage: Haben die politischen Eliten immer das Gesamtinteresse der Bevölkerung im Auge oder vor allem das ihrer eigenen Wählerschaft? Das ist auch in Deutschland ein Problem, aber zumindest ist unsere Regierung demokratisch gewählt. Doch wir verhandeln auch mit autoritär regierten Ländern, und deren Stimmen zählen in der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen genauso wie unsere. Ob diese Regierungen im Interesse ihrer Bevölkerung – auch ihrer verarmten Landbevölkerung – sprechen und handeln, kann man zumindest in Frage stellen. Auch deswegen ist es wichtig, Wege zu finden, um Menschen zu erreichen, die in großer Not sind und von ihrer eigenen Regierung ignoriert werden. Allerdings muss diese Vernachlässigung nicht immer mutwillig sein; viele Regierungen haben gar nicht die finanziellen Kapazitäten.

Welche Projekte können sowohl die Not und die Armut der Menschen lindern, aber auch Flucht verhindern?

Vinke: Ein Beispiel ist sicher die Wiederaufforstungstechnik „Farmer Managed Natural Regeneration“ (FMNR). Diese Form der Wiederbewaldung wird unter anderem in der Sahelzone praktiziert. Sie beruht allerdings nicht auf dem Pflanzen von Bäumen, sondern auf dem „In-Ruhe-lassen“ von Land. Bestimmte Landflächen werden abgegrenzt, dort bilden sich dann auf natürliche Art wieder kleine Büsche aus den in der Erde liegenden Wurzeln. Diese werden normalerweise von Ziegen abgefressen oder zum Feuermachen geerntet. Das kann man vermeiden, indem man sich als Gemeinschaft entschließt, eine Landfläche zu schützen, und versucht, die Büsche so zu trimmen, dass sich Äste und letztendlich junge Bäume entwickeln. Ein Baum bringt viele Vorteile: Er spendet Schatten für das Wachstum anderer Pflanzen, und gleichzeitig kann die Wiederbewaldung den Wasserkreislauf unterstützen. Das puffert lokal die Erwärmung etwas ab, und zum anderen bilden sich natürliche CO2-Senken, weil Bäume CO2 aus der Atmosphäre ziehen. Die Schwierigkeit bei solchen Projekten ist der Abstimmungsprozess innerhalb der Gemeinschaft, denn es dauert relativ lange, bis ein Baum wächst. Aber sobald diese Bäume entstehen, kann man auch Teile von ihnen ernten. Es ist wünschenswert, diese Phase auch durch andere entwicklungspolitische Maßnahmen zu unterstützen, damit zum Beispiel kein Feuerholz zum Kochen verbraucht werden muss.

Radikal wäre es aus Umweltsicht, einfach alles die Natur machen zu lassen. Dann leiden aber noch mehr Menschen. Wie geht man damit um?

Vinke: Hier geht es um Ausgleiche. Wie kann ich einen Interessensausgleich schaffen? Das sollte gemeinschaftlich mit lokalen Akteuren durchgeführt werden, gerade bei großen Naturschutzprojekten. Denn es gibt ja auch viele problematische Beispiele. Als ich in Bangladesch war, haben Menschen zu mir gesagt: „Hier ist ein riesiges Tierschutzprojekt. Warum schützt ihr Tiger und helft uns nicht?“ Das kann nur dadurch beantwortet werden, dass beides gemacht wird, Umweltschutz und entwicklungspolitische Maßnahmen. Ein Kerninteresse des Umweltschutzes ist es, dem Menschen zu helfen und die natürlichen Lebensgrundlagen auch für zukünftige Generationen zu erhalten. Klar ist, der Mensch ist ein Teil der Natur und wir können nicht andere Arten einfach nach unserem Gusto auslöschen ohne weitreichende Konsequenzen hervorzurufen, die uns schließlich selbst betreffen werden.

Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an:

Boris Breyer
Stellvertretender Pressesprecher
SOS-Kinderdörfer weltweit
Tel.: 089/179 14-287
E-Mail: boris.breyer@sos-kd.org
www.sos-kinderdoerfer.de

Original-Content von: SOS-Kinderdörfer weltweit, übermittelt

Veröffentlicht am

Klimakrise zwingt Millionen Menschen in die Flucht!Kira Vinke vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung im Interview mit den SOS-Kinderdörfern, Teil 1

20.04.2021 – 04:30

SOS-Kinderdörfer weltweit

Klimakrise zwingt Millionen Menschen in die Flucht!
Kira Vinke vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung im Interview mit den SOS-Kinderdörfern, Teil 1


















Klimakrise zwingt Millionen Menschen in die Flucht! / Kira Vinke vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung im Interview mit den SOS-Kinderdörfern, Teil 1
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München (ots)

Dr. Kira Vinke, Projektleiterin des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung, berät die SOS-Kinderdörfer in Klimafragen. In einem dreiteiligen Interview spricht die Wissenschaftlerin darüber, wie der Klimawandel zu Flucht und Armut weltweit beiträgt und was wir tun können, um ihn noch aufzuhalten.

SOS-Kinderdörfer: Laut einer Studie, die auch der Weltklimarat zitiert, könnte es 2050 weltweit 200 Millionen Klimaflüchtlinge geben. Warum werden so viele Menschen fliehen?

Vinke: Die Studie ist schon etwas älter und teils wegen einer unausgereiften Methodik umstritten. Es gibt eine kürzlich erschienene Weltbank-Studie, die in einem pessimistischen Szenario bis 2050 von etwa 140 Millionen Binnenvertriebenen in Subsahara-Afrika, Südasien und Südamerika ausgeht. Wenn man bedenkt, dass noch einige Weltregionen fehlen, sind die 200 Millionen von der Größenordnung her möglicherweise gar nicht so weit von der Realität entfernt.

Es gibt keine grundsätzliche Definition eines Klimamigranten. Aber wir sehen, dass der Migrationsdruck zunimmt – und dahinter steht oft auch ein sehr großer persönlicher Leidensdruck. Das ist unabhängig von allgemeinen Anziehungsfaktoren für Migration wie die Aussicht auf ein besseres Leben oder die Aussicht auf Sicherheit.

Ob diese Migration vollzogen werden kann und über welche Distanzen, hängt von vielen Umständen ab. Etwa davon, wie viel Geld mir als Migrant zur Verfügung steht. Oder: Bin ich körperlich in der Lage zu migrieren? Was sind meine sozialen Umstände? Bin ich frei? Zum Beispiel ist es für Frauen schwieriger, allein zu migrieren, weil sie oft sexueller Gewalt ausgesetzt sind, während es jungen Männern in vielen Gesellschaften eher möglich ist. Und natürlich geht es auch um Grenzpolitik, wenn nationale Grenzen überwunden werden müssen. Wenn der Migrationsdruck wächst, steigt das Leid an den Außengrenzen.

Da ist nun die Frage, wie wir darauf reagieren. Versuchen wir, diesen Migrationsdruck zu mindern? Nicht jeder möchte sein eigenes Zuhause verlassen; das ist nur eine Minderheit. Aber wenn ich vor die Wahl gestellt bin, mein Kind an Hunger sterben zu sehen oder mein Zuhause zu verlassen – dann entschließt sich wahrscheinlich die Mehrheit für Letzteres.

Wenn Sie sagen, es gibt einen internen Migrationsdruck, reden Sie dann von Binnenflucht, also dass diese Menschen tatsächlich im eigenen Land woanders Zuflucht suchen?

Vinke: Genau. Momentan beobachten wir, dass die Menschen, die aufgrund von Klimafolgen migrieren müssen, dies vor allem innerhalb ihrer Länder tun. Und das passiert aus den folgenden Gründen: Erstens können sie gar nicht so weit migrieren, weil ihnen die Voraussetzungen dafür fehlen. Zweitens möchten sie in ihrem Kulturkreis bleiben und ihre eigene Sprache sprechen. Eventuell wollen sie später in ihre Heimat zurückkehren. Der dritte Grund ist: Es gibt Grenzregime, die man nicht so einfach überwinden kann. Aber die anderen Punkte sind aus meiner Sicht schwerwiegender. Man sollte in Betracht ziehen, wer von diesen Naturkatastrophen hauptsächlich betroffen ist. Das sind vor allem Subsistenzbauern ohne finanzielle Reserven, die keinerlei Anpassungsmöglichkeiten haben. Dann die Fischer – also alle Menschen, deren Lebensgrundlagen direkt mit Ökosystemen verbunden sind. Sie stehen sozusagen in der ersten Reihe, aber ihre Mobilität ist oft eingeschränkt.

Es sind also vor allem Menschen, die wahrscheinlich schon am Existenzminimum leben oder die einfach jetzt schon Schwierigkeiten haben – teilweise klimabedingt, teilweise ökonomisch bedingt – ein gutes Leben zu führen?

Vinke: Ja, das sind marginalisierte Gruppen. Und da zeigt sich auch eine doppelte Ungerechtigkeit. So viele Menschen wurden von der globalisierten Industrialisierung und von deren Wohlstanderzeugung ausgeschlossen. Sie sind vielleicht Teil der Produktionskette, beispielsweise eine Näherin in Bangladesch, aber sie erzielen daraus keinen Gewinn. Die zweite Ungerechtigkeit ist nun, dass genau diese benachteiligten Menschen Opfer des Klimawandels werden, den sie nicht oder nur zu einem sehr geringen Teil mit verursachen.

Sie haben mit vielen dieser Menschen gesprochen, die die Folgen des Klimawandels schon am eigenen Leib spüren…

Vinke: Für meine Feldforschungen war ich in verschiedenen Teilen der Erde: in Bangladesch in Asien, auf den Marshallinseln im Pazifik, in Burkina Faso in Afrika. Dort sieht man überall ein ähnliches Bild. Natürlich gibt es ganz unterschiedliche Klimafolgen und ganz unterschiedliche gesellschaftliche Kontexte. Aber die Menschen schildern alle, dass sich die Umwelt rasant verändert hat. Sie haben dafür oft keine Erklärung, weil ihnen der Zugang zu Bildung verwehrt bleibt. Sie stehen vor der Wahl, unter immer schlechter werdenden Bedingungen zu bleiben oder zu gehen. Sie haben kaum die Möglichkeit, selber aktiv etwas zu verbessern, weil die globalen Strukturen ihren persönlichen Handlungsspielraum begrenzen. Es ist eine sehr ernüchternde Einsicht, dass unsere eigene, oft komfortable Lebensart die freie Entfaltung anderer Menschen in weitentfernten Gebieten – zum Teil zeitlich versetzt – verschlechtert oder ganz untergräbt. Das ist ein großes ethisches Problem.

Wie können Klima- und Entwicklungsprogramme aufgebaut sein, sodass sie nachhaltig wirken und nicht nur den Industrieländern vorbehalten sind?

Vinke: Ich denke, es sollte stark in die kommunale Ebene investiert werden. Die Projekte sollten an den lokalen Kontext angepasst und von lokalen Experten begleitet und ausgeführt werden. Bei unseren Feldforschungen haben wir gesehen, dass die Menschen, die besonders betroffen sind, oft kaum oder keine Unterstützung von ihrem eigenen Staat bekommen. Das muss man auch im Blick haben, wenn man über die internationalen Klimaschutzverhandlungen nachdenkt, es sind letztlich Verhandlungen zwischen politischen Eliten. So stellt sich die Frage: Haben die politischen Eliten immer das Gesamtinteresse der Bevölkerung im Auge oder vor allem das ihrer eigenen Wählerschaft? Das ist auch in Deutschland ein Problem, aber zumindest ist unsere Regierung demokratisch gewählt. Doch wir verhandeln auch mit autoritär regierten Ländern, und deren Stimmen zählen in der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen genauso wie unsere. Ob diese Regierungen im Interesse ihrer Bevölkerung – auch ihrer verarmten Landbevölkerung – sprechen und handeln, kann man zumindest in Frage stellen. Auch deswegen ist es wichtig, Wege zu finden, um Menschen zu erreichen, die in großer Not sind und von ihrer eigenen Regierung ignoriert werden. Allerdings muss diese Vernachlässigung nicht immer mutwillig sein; viele Regierungen haben gar nicht die finanziellen Kapazitäten.

Welche Projekte können sowohl die Not und die Armut der Menschen lindern, aber auch Flucht verhindern?

Vinke: Ein Beispiel ist sicher die Wiederaufforstungstechnik „Farmer Managed Natural Regeneration“ (FMNR). Diese Form der Wiederbewaldung wird unter anderem in der Sahelzone praktiziert. Sie beruht allerdings nicht auf dem Pflanzen von Bäumen, sondern auf dem „In-Ruhe-lassen“ von Land. Bestimmte Landflächen werden abgegrenzt, dort bilden sich dann auf natürliche Art wieder kleine Büsche aus den in der Erde liegenden Wurzeln. Diese werden normalerweise von Ziegen abgefressen oder zum Feuermachen geerntet. Das kann man vermeiden, indem man sich als Gemeinschaft entschließt, eine Landfläche zu schützen, und versucht, die Büsche so zu trimmen, dass sich Äste und letztendlich junge Bäume entwickeln. Ein Baum bringt viele Vorteile: Er spendet Schatten für das Wachstum anderer Pflanzen, und gleichzeitig kann die Wiederbewaldung den Wasserkreislauf unterstützen. Das puffert lokal die Erwärmung etwas ab, und zum anderen bilden sich natürliche CO2-Senken, weil Bäume CO2 aus der Atmosphäre ziehen. Die Schwierigkeit bei solchen Projekten ist der Abstimmungsprozess innerhalb der Gemeinschaft, denn es dauert relativ lange, bis ein Baum wächst. Aber sobald diese Bäume entstehen, kann man auch Teile von ihnen ernten. Es ist wünschenswert, diese Phase auch durch andere entwicklungspolitische Maßnahmen zu unterstützen, damit zum Beispiel kein Feuerholz zum Kochen verbraucht werden muss.

Radikal wäre es aus Umweltsicht, einfach alles die Natur machen zu lassen. Dann leiden aber noch mehr Menschen. Wie geht man damit um?

Vinke: Hier geht es um Ausgleiche. Wie kann ich einen Interessensausgleich schaffen? Das sollte gemeinschaftlich mit lokalen Akteuren durchgeführt werden, gerade bei großen Naturschutzprojekten. Denn es gibt ja auch viele problematische Beispiele. Als ich in Bangladesch war, haben Menschen zu mir gesagt: „Hier ist ein riesiges Tierschutzprojekt. Warum schützt ihr Tiger und helft uns nicht?“ Das kann nur dadurch beantwortet werden, dass beides gemacht wird, Umweltschutz und entwicklungspolitische Maßnahmen. Ein Kerninteresse des Umweltschutzes ist es, dem Menschen zu helfen und die natürlichen Lebensgrundlagen auch für zukünftige Generationen zu erhalten. Klar ist, der Mensch ist ein Teil der Natur und wir können nicht andere Arten einfach nach unserem Gusto auslöschen ohne weitreichende Konsequenzen hervorzurufen, die uns schließlich selbst betreffen werden.

Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an:

Boris Breyer
Stellvertretender Pressesprecher
SOS-Kinderdörfer weltweit
Tel.: 089/179 14-287
E-Mail: boris.breyer@sos-kd.org
www.sos-kinderdoerfer.de

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